Die Cannabis-Legalisierung droht zu einem Verkehrsrisiko zu werden. Unter dem Einfluss von Tetrahydrocannabinol (THC), dem Wirkstoff von Cannabis, komme es typischerweise zu Konzentrationsstörungen, Veränderungen in der Wahrnehmung, verlängerten Reaktionszeiten und motorischen Störungen, erklärt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums. „Hierdurch ist die Verkehrstüchtigkeit eingeschränkt.“ Daher lehnt die Landesregierung die Pläne der Ampel ab, die nun einen relativ hohen THC-Grenzwert festlegen will: „Die vom Bundesministerium für Verkehr beauftragte Expertengruppe hat einen Grenzwert von 3,5 Nanogramm je Milliliter vorgeschlagen, der aus verkehrsfachlicher Sicht nicht zu befürworten ist. Die Anhebung des Grenzwertes wird sich negativ auf die Sicherheit im Straßenverkehr auswirken“, warnt der Sprecher von Innenminister Herbert Reul (CDU).
Bisher gab es für Cannabis am Steuer keinen gesetzlichen Grenzwert, etabliert hat sich in der Rechtsprechung ein Wert von 1,0 Nanogramm. Der würde durch die Ampel-Pläne erhöht. „Der Konsum von Cannabis ist mit einer Verlängerung der Reaktionszeit verbunden, dies kann im Straßenverkehr fatale Folgen haben“, mahnt Thomas Müther vom ADAC NRW. „Insbesondere Personen, die im Zuge der Legalisierung Cannabis ausprobieren wollen, sind sich gegebenenfalls der Gefahren nicht ausreichend bewusst.“ Müther fordert ein Fahrverbot für bekiffte Anfänger: „Der ADAC spricht sich dafür aus, dass bei der besonders gefährdeten Gruppe der Fahranfänger jegliches Fahren mit Cannabis ab der technisch bedingten Nachweisgrenze von 1,0 Nanogramm geahndet wird, analog zur Nullpromille-Grenze bei Alkohol.“
Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) fordern Nulltoleranz für alle bekifften Fahrer. „Der derzeit im Bund diskutierte THC-Grenzwert ist zu hinterfragen – auch aufgrund der Gefahr eines Mischkonsums aus Cannabis und Alkohol. Die Konsequenz mit Blick auf den Grenzwert am Steuer und im Sinne der Allgemeinheit kann daher nur eine Null-Toleranz-Regelung sein“, sagt Frank Bergmann, Chef der KV Nordrhein. Auch die KV Westfalen-Lippe plädiert für einen Grenzwert von Null, deren Chef Dirk Spelmeyer mahnt: „Mit dem Cannabis-Gesetz hat die Regierung ein echtes Eigentor geschossen. Cannabis ist alles andere als harmlos. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass der regelmäßige Konsum abhängig macht und gerade bei jungen Erwachsenen zu bleibenden Schäden führen kann.“ Man sei Lichtjahre von nachhaltigem Jugendschutz entfernt, ergänzt Bergmann: „Wir befürchten einen allgemeinen Anstieg der Drogenkriminalität im Land und langfristig ebenso einen Andrang auf die ambulanten psychotherapeutischen Versorgungsstrukturen, da sich der Cannabiskonsum oftmals negativ auf die Psyche junger Erwachsener auswirken wird.“
Ein Problem ist auch die Messung: Die Polizei NRW verwendet aktuell Urin- und Speicheltests zur Drogenerkennung im Straßenverkehr. „Die Durchführung der Tests durch den Probanden ist freiwillig und dient lediglich als Anhaltspunkt“, betont der Sprecher des Innenministeriums. Erst die Ergebnisse einer Blutanalyse lassen Rückschlüsse auf die kognitive Beeinflussung des Verkehrsteilnehmers zu und sind ausschlaggebend für die Einleitung eines Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahrens.
Zum 1. April wurde Cannabis für Erwachsene legalisiert. Doch der Stoff kommt weiter vor allem aus dem Schwarzmarkt, die Cannabis-Clubs soll es erst ab Juli geben, kommerzielle Cannabis-Shops vorerst gar nicht. „Man kann davon ausgehen, dass zahlreiche Menschen Cannabis nicht nur als Genussmittel nutzen wollen, sondern sich auch zukünftig mit Cannabis selbst therapieren wollen“, erwartet Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein. „Als Bezugsquelle für Cannabis zur Selbsttherapie bleibt nur der Eigenanbau, die Mitgliedschaft in einem Cannabis-Club oder der Bezug über den Schwarzmarkt.“ Letzteres sei besonders gefährlich, wenn gesundheitsgefährdende Stoffe beigemengt wurden.
Es sei vorstellbar, dass Apotheken unter strengen Bedingungen kleine Mengen Cannabis auch ohne Rezept zu medizinischen Zwecken an Patienten abgeben, schlägt Preis vor. Nachdem Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werde, wäre es für die Politik nur ein kleiner Schritt, es aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, damit Patienten bestimmte Erkrankungen selbst therapieren können. Zugleich betont Preis: „Als Abgabestelle von Cannabis zu Genusszwecken oder als Cannabisshop stehen Apotheken hingegen nicht zur Verfügung.“
Der Verbandschef rechnet mit einem Andrang auf Privatrezepte: „Wir gehen davon aus, dass Cannabis deutlich mehr verordnet wird.“ Dafür sprächen viele Gründe: Bislang konnten Cannabistherapien erst durchgeführt werden, wenn andere Therapien nicht angeschlagen haben. Zum 1. April ist dieser Therapievorbehalt für Ärzte weggefallen. „Zusätzlich fällt für Arztpraxen die bürokratisch aufwendige Verordnung auf Betäubungsmittelrezepten weg“, so Preis. „Kurzfristig gehen wir von einer Verdoppelung der Privat-Verordnungen aus. Die Verordnungen für gesetzlich Versicherte werden nicht so stark steigen. Denn Therapien mit Cannabis müssen weiter durch die Krankenkassen genehmigt werden.“
Schätzungen gingen davon aus, dass schon jetzt 50 Prozent der Cannabis-Verschreibungen auf Privatrezepten erfolgt, so der Apothekerverband. Und das, obwohl der Anteil der Privatversicherten in Deutschland nur bei zehn Prozent liegt. Bundesweit seien 2022 etwa 300.000 Cannabis-Rezepte zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet worden, sagt Thomas Preis. „Ein Gramm Cannabis kostet in der Apotheke etwa 20 Euro.“